Bisher dokumentierte Vorfälle, Dokumentation

Juli 2011 – FU Berlin

Dokumentation rassistischer Vorfälle

Datum: Juli 2011

Uni: FU Berlin

 

 

1 – Mail der Studentin XX an die Dozentin YY:

 

Am 07.07.2011 02:21, schrieb XX:
Hallo YY,

auf diesem Weg möchte ich nachträglich nochmal Stellung nehmen zu der letzten Sitzung im Seminar „Titel entfernt“ (FU Berlin). Ich bin sehr empört darüber, wie diese abgelaufen ist.

Zunächst scheint es mir respektlos, dass Sie weder wussten oder darauf vorbereitet waren, dass ich in dieser Sitzung mein Referat halten würde (obwohl Sie mir in der Sitzung davor das Material dafür ausgeliehen haben), noch dass Sie meinem Referat aufmerksam gefolgt wären (ständiges SMS-Schreiben).

Inhaltlich:
In meinem Referat sollte ich selbstgewählte Kapitel/Ausschnitte aus dem Buch „Karibische Diaspora in New York“ (Bettina Schmidt) vorstellen. In meinem Vortrag bin ich knapp auf Autorin, generelle Inhalte des Buchs, Forschungsansatz, zentrale Aussagen und Kritik eingegangen.

Meine Kritik an dem Buch bleibt weiterhin bestehen und bezieht sich unter anderem auf folgende Punkte:

– Die Autorin verwendet kolonial-rassistische Fremdbezeichnungen wie „Indianer“ (u.a. S. 24,59).

– Fremdbezeichnungen wie ‚Latinos‘ oder ‚Hispanics‘ (vgl. S.24) entlarvt die Autorin als nicht selbstgewählt, benutzt diese dann aber weiterhin durchgehend. Dies ist eine koloniale Praxis der Fremdbestimmung. Durch angebliche Repräsentation werden die Subjekte als Objekte konstruiert, die nicht für sich selbst sprechen können. Die weiße europäische Ethnologin maßt es sich an, als ‚Expertin‘ über ‚die karibische(n) Kultur(en)‘ zu schreiben und diese zu definieren. Dabei geht sie extrem simplifizierend und verallgemeinernd vor und hält es nicht für notwendig, ihre Aussagen zu belegen. Auch dies ist einer der Unterdrückungsmechanismen, die seit der Kolonialzeit von weißen angewendet werden. (vgl. Spivak, Gayatri C. (2007) Can the Subaltern Speak?; Kilomba, Grada. Plantation Memories: Episodes of Everyday Racism (2010).)

– Verallgemeinernde Annahmen über Menschen/Kultur(en)/Gruppen werden ohne Belege und Quellenverweise als Tatsachen dargestellt und verfälscht wiedergegeben. (vgl. S. 24, 23, 15, 61, und andere)

– Die Karibik bzw. Menschen aus der Karibik werden mit „Wildem Denken“ (vgl. S. 23, 61) assoziiert. Damit reproduziert sie aktiv kolonial-rassistische Bezeichnungen von „den Anderen“ als irrational, ‚unzivilisiert‘ und letztlich minderwertig. (vgl. Konzepte über die „edlen Wilden“) Allein diese Zitate belegen eine rassistische Grundeinstellung der Autorin.

– „Eine Fahrt durch die U-Bahn in New York gleicht einer Fahrt durch die ethnische Struktur der Stadt. […] Nun haben die meisten der im Abteil zurückgebliebenen Fahrgäste eine dunkle Hautfarbe. Wir nähern uns Flatbush, Wohnort vieler Migranten aus der Karibik und Stätte ‚Wilden Denkens‘.“ (S.23) Dieses Zitat scheint mir besonders problematisch. 1) Die Autorin konstruiert die Karibik als einen homogenen Ort ‚dunkler Hautfarbe‘. 2) Als Anthropologin sollte sie wissen, dass es „Hautfarbe“ nicht gibt. 3) Sie rassifiziert die Menschen (vgl. 1). 4) „Ethnische Struktur“ wird in der Bedeutung von „rassischer Struktur“ verwendet, da sie sich hier ausschließlich auf Aussehen bezieht. (Abgesehen davon findet keine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff ‚Ethnie‘ im Buch statt.) 5) siehe Kritik zu ‚Wildes Denken‘.

Dies sind nur einige wenige der Punkte, die ich an dem Buch stark kritisiere.

Zur Diskussion im Kurs:

Ich fand es erschreckend, mit welcher Selbstverständlichkeit und Aggression meine wissenschaftlich belegte Kritik an dem Buch abgelehnt und als unglaubwürdig dargestellt wurde.

– Aufgrund von meiner (wissenschaftlichen!) Kritik am Buch wurde mir vorgeworfen, eigentlich nur meinen eigenen aggressiven ‚Fremdenhass‘ unhinterfragt auszuleben. Dabei wurde versucht, meinem Vortrag als ‚emotional‘ und ‚übertrieben‘ die Legitimität zu nehmen. Ehrlich gesagt fehlen mir die Worte und ich bin immer noch fassungslos, wie diese Aussagen im Kurs stehen gelassen wurden und von Ihnen toleriert und angenommen wurden.

Dass sich einige der weißen Studierenden derart angegriffen fühlten, dass sie meinten persönlich werden zu müssen (obwohl sich die Kritik allein auf Textstellen bezog, die den white-supremacy-Grundton des Buches verdeutlichen) zeigt, dass es an einer kritischen Auseinandersetzung mit weiß-sein auch in der Anthropologie oft fehlt. (vgl. auch Susan Arndt: ‚Weißsein. Die verkannte Strukturkategorie Europas und Deutschlands.'(2005).) Leider haben Sie diese Perspektive während der Diskussion als geltend akzeptiert. (vgl. Schwarzbach-Apithy, Aretha. (2009) Interkulturalität und anti-rassistische Weis(s)heiten an Berliner Universitäten.)

– Einer meiner Kritikpunkte bezog sich auf folgendes Zitat: „- entgegen üblichen Karibik-Studien, die Migranten aus der spanisch-sprachigen Karibik übersehen – [bilden PuertorikanerInnen] einen Schwerpunkt.“ (S. 23)
Darin behauptet die Autorin, dass sie als ‚Pionierin‘ neben wenigen anderen zu diesem Thema schreibt. Das stimmt so absolut nicht. Es gibt zahlreiche WissenschaftlerInnen, die zu diesen Themen publiziert haben. (vgl. Silvio Torres-Saillant, Ramona Hernandez, Marysol Asencio, Sherrie Baver, Gabriel Haslip Viera, Frank Moya Pons, Jorge Duany, um nur einige zu nennen) Obwohl ich Referenzen im Seminar nannte, wurde mir auch hier unterstellt zu lügen. Diese persönlichen Angriffe haben Sie noch unterstützt indem Sie die Autorin (Ihre Bekannte!) in Schutz nahmen und wissenschaftlich falsche Aussagen machten, indem Sie behaupteten, die Publizierenden zu dem Thema ließen sich auf drei AutorInnen reduzieren.

Aufgrund der genannten Vorfälle und dem sichtbar gewordenen
unkritischen Umgang mit Lehrtexten und Rassismus im Seminar werde ich an den letzten beiden Sitzungen nicht mehr teilnehmen.

Ich bitte Sie um eine Stellungnahme.

XX

*Zu Dokumentationszwecken wird diese Mail und Ihre Antwort veröffentlicht*

2 – Antwortmail der Dozentin YY

 

Liebe Frau XX,

vielen Dank für Ihre Mail. Es tut mir und den StudentInnen leid, dass so viele Missverständnisse bestehen und meine StudentInnen bitte Sie nächste Wochwe zu lommen, damit wir alles besprechen können.
Ich hatte mich für meine sms entschuldigt, und tue es hiermit noch einmal. Das haben Sie scheinbar nicht gehört, meine Tochter stand im strömenden regen ohne Schlüssel in leichten Sommerkleidung und benötigte akut Hilfe.
Ich hatte Ihr Referat natürlich nicht vergessen, war aber thematisch noch in der anderen Thematik. Ich war mir auch nicht sicher, ob sie es wirklich halten, da ich kein hand out zu gesendet bekam,  wie wir n.m. E. besprochen hatten. Das ist für mich auch ein Zeichen, ob ein Referat gehalten wird.
Den Rest mögen wir mit Ihnen persönlcih besprechen.

Herzliche Grüße

YY

 

3 – Reaktion der Studentin XX

 

Hallo Frau YY,

danke, dass Sie mir so schnell auf meine Mail geantwortet haben.
Ich werde am Donnerstag am Seminar teilnehmen. Allerdings gibt es meiner Meinung nach keine ‚Missverständnisse‘ zu klären, da die verschiedenen Positionen (und das Verhalten des Kurses) sehr deutlich waren. Ich fände eine Entschuldigung angebracht.

Bis dahin,
XX

 

4 – Studentin XX zur Intervention im Seminar

 

Das einzige, wofuer sich YY entschuldigt hatte, war das SMS schreiben im Kurs. Aber das war fuer mich natuerlich nicht der eigentlich wichtige Punkt.
Ich bin dann ins Seminar gegangen, mit Verstaerkung von 2 kompetenten Frauen 🙂 und habe dann am Ende 15 Min Zeit fuer meinen „Fall“ bekommen.
Nur eine Person, die sich waehrend meinem Vortrag nicht geaeussert hatte und auch nichts kritisiert hatte, hat sich entschuldigt und versucht die Situation zu entschaerfen. Die anderen haben entweder nichts gesagt oder teilweise die Augen verdreht, ihr Verhalten und das Verhalten anderer gerechtfertigt, etc.
Immerhin war ich nicht allein dort (waere auch nicht mehr allein hingegangen) und danach gings mir schon etwas besser, obwohl die Reaktion der meisten (und der Dozentin!) im Kurs leider sehr hartnaeckig abweisend war. Die Dozentin hat auch alle Kritik abgewiesen und versucht sich zu rechtfertigen, aber immerhin hat sie sich auf die Diskussion eingelassen.

Ein Gedanke zu „Juli 2011 – FU Berlin“

  1. Ich bewundere Deine Energie Dich doch noch so für Deine Positionen eingesetzt zu haben und teile dieses Gefühl aus eigener Erfahrung. Einerseits würde Noah Saw dieses Verhalten der Dozentin und des Kurses als „Energie Vampirismus“ wohl bezeichnen, andererseits ist es wohl manchmal notwendig dies zu riskieren, selbst wenn nur eine_r in diesem Kurs etwas gelernt haben sollte.

    Wir hätten nicht die aktuellen Problematiken mit einem vom Rassismus durchseuchten Verfassungsschutzes, wenn in der Gesellschaft nicht schon ein vorhandener Nährboden wäre. Es ist letztlich schon fast ein Überlebenskampf, wenn wir nicht an jeder geeigneten Stelle versuchen was zu bewirken. Das Töten beginnt mit den seelischen Verletzungen, wer nicht selbstbewußt erzogen wird, zieht sich das manchmal bis zur selbst Verstümmelung und Selbstmord rein. Aber vor Allen Dingen müssen wir gefeit sein davor, keine Alibifunktionen einzunehmen und dadurch zu Mittätern zu werden. Wer heutzutage von Fremdenfeindlichkeit redet, steht auf Seite der Rassisten und diesen Vorwurf Dir zu machen, ist ein weiterer rassistischer Akt, eine Einsicht kaum zu finden, denn „es ist doch Fakt, es sind zu viele Menschen auf dieser Welt“ so verkünden Alle Mainstream Medien es. Und tun so, als ob dieser Gedanke nie mit 1933 zu tun hätte, 6 Mio Arbeitslose= 6 Mio Juden vernichten (mir ist klar, dass es nicht nur Juden waren).

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